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Brasilianische Musik 20. Jahrhundert

Tropicália, Caetano Veloso

Die ersten Jahre der Diktatur, ab 1964, sind in Brasilien kurioserweise Jahre höchster kultureller Produktiviät, denn Cinema Novo, Theater und die Musik des Tropicalismo sind Wege, auf denen noch Opposition möglich ist.  Caetano Veloso, Gal Costa, Gilberto Gil, Rita Lee, Tom Zé, Maria Bethânia, Chico Buarque und Milton Nascimento beginnen ihre Karrieren in dieser Zeit. Ab 1968 werden die Einschränkungen drastisch, Caetano und Gil müssen, nach Inhaftierungen, das Land verlassen. Dennoch werden die Konturen des Tropicalismo klar: In Anlehnung an die Modernisten der 20er Jahre ist der Anschluss an die internationale Avantgarde gewollt, Elite und Basis, sentimentaler Samba und Rock sollen sich nicht ausschliessen. Erst Mitte er 70er lockern sich die politischen Verhältnisse, 1985 kehrt die Demokratie zurück. Arnaldo Antunes mit der Gruppe Titãs, Marisa Monte, Carlinhos Brown und Adriana Calcanhotto sind Musiker der dann folgenden Generation.

In Estação Brasil (S.P.2006) fasst die junge argentinische Journalistin Violeta Weinschelbaum Gespräche zusammen, die sie mit brasilianischen Musikern geführt hat, laut Vorwort von Caetano Veloso mit Einfühlsamkeit und Klarheit. Sie trifft Caetano 1998 in Rio (mit Fortsetzung 2001), sein Blick auf den Tropicalismo in Buchform, Verdade tropical, ist grad auf dem Markt, gleichzeitig seine CD Livro (Buch), mit Kompositionen, die auf seine Schrift Bezug nehmen. Diese Kombination passt zu dem Bild, ihn als den Philosophen und Intellektuellen unter den Musikern zu bezeichnen. Seine Mitstreiter beim Entstehen des Tropicalismo kennzeichnet er in Verdade tropical so: Gil ist der wahre Musiker, Gal ist die wahre Sängerin und Betânia der wahre Stern des dramatischen Gesangs. (p.22) Wenn João Gilberto von im sagt: Caetano begleitet die brasilianische Musik mit dem Denken, so hat er doch seine eigene Version:

Selbst ohne zu schreiben und Filme zu machen bin ich Cineast und Literat. Ich mache die Musik mit der Sicht eines Cineasten. (…) Ich mache keine Musik, ich arbeite mit der Musik, mache einen Film über die Musik, und dieser Film besteht aus Shows, Interviews, Platten und Büchern. (p.22)

Originell ist, wie ihm das Verhältnis von Sprache und Musik erscheint. Was mich als Komponist am meisten interessiert ist, dass ich eine Idee an gesungenen Worten habe, dass der Ursprung eines Liedes aus schon gesungenen Worten besteht. Eine Urmaterie, die sich schon von den Versen und der Melodie unterscheidet. Das Verschmelzen ist am Anfang, auch wenn es nicht immer glückt. (p.24)

Am Schluss des Gesprächs steht die schwierige Frage nach der brasilianischen Identität im Land der vielen Völker, Abenteuer Ästhetik ohne Volkstümelei und falschen Nationalismus, und man trifft auf den Satz von João Gilberto, auch zu finden in Verdade tropical, in dem die Rede ist von dem Mut, dem komplexen Tanz der Formen in Geschichte und Gesellschaft zu begegnen.